Offener Brief an MdB Martin Plum
Die Ereignisse der letzten Tage und Wochen haben in unserer Gemeinde viele Menschen bewegt. Sie alle eint ein tiefes Mitgefühl mit den Hinterbliebenen und Opfern der Gewalttaten in Solingen, Magdeburg und Aschaffenburg – um nur die jüngsten Ereignisse zu nennen. Zugleich eint sie aber auch die Sorge über die Reaktionen aus der Politik darauf, die das erwartbare Maß an Besonnenheit und Sachlichkeit verlassen und mit Aktionismus und Populismus reagieren – gerade auch in den Vorschlägen ihres Fraktionsvorsitzenden.
So hat das Presbyterium in einem Brief die Gedanken zusammengetragen, die wir – gerade anlässlich des 80. Jahrestags der Befreiung des Konzentrationslager Auschwitz – unserem Wahlkreisabgeordneten Dr. Martin Plum zukommen ließen, in der Hoffnung, dass sie als eine besonnene Stimme aus seinem Wahlkreis wahrgenommen wird.
Hier der Wortlaut des Schreibens:
Sehr geehrter Herr Dr. Plum, mit großer Bestürzung haben wir die Entwicklungen der letzten Tage und Wochen zur Kenntnis genommen. Unser tiefes Mitgefühl gilt den Hinterbliebenen der Opfer dieser unaussprechlichen Gewalttaten in Solingen, Magdeburg und Aschaffenburg, um nur die jüngsten Ereignisse zu nennen. Die Brutalität und Willkür dieser Taten lassen einen traurig, hilflos, geradezu ohnmächtig zurück. Gerade am 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz nehmen wir mit allergrößter Besorgnis aber auch wahr, dass man dieser Ohnmacht nicht mit dem angemessenen Maß an Besonnenheit, Sachlichkeit und Anstand begegnet, sondern diese Ohnmacht für Aktionismus und Populismus missbraucht. Wenn Scheinlösungen propagiert werden und zu deren Durchsetzung sogar unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung aufs Spiel gesetzt wird. Diese schwerwiegende Gefahr sehen wir in den aktuellen Vorschlägen Ihres Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz. Daher möchten wir Sie, als direkt gewählten Abgeordneten Ihres Wahlkreises, inständig darum bitten, unsere Standpunkte in Ihre Entscheidungsfindung einzubeziehen und im Zweifelsfall nach Ihrem Gewissen gegen den medial kolportierten CDU-Antrag in dieser Sitzungswoche stimmen. Die juristischen Konsequenzen dieses Antrags werden Ihnen als Jurist, Mitglied des Rechtsausschusses und stellv. Vorsitzenden des Unterausschusses für Europarecht sicher geläufig sein. Daher an dieser Stelle nur eine Aufzählung der gravierendsten Punkte aus unserer Sicht:
Trotz der juristischen Fragen, die für sich allein schon ausreichen sollten, diesen Antrag einer gründlichen Prüfung in den entsprechenden Fachausschüssen zu unterziehen, sind die moralischen Bedenken weit schwerwiegender. Wenn kein Kompromiss möglich ist und eine Mehrheit nur mit Hilfe von Extremisten zu Stande kommt, dann ist es offensichtlich ein Antrag, der extremistische Narrative nährt, anstatt sie zu widerlegen. Ein Antrag, der mit Stimmen der AfD angenommen wird, während er ohne diese Stimmen keine Mehrheit hätte, ist ein Dammbruch in der Geschichte der Bundesrepublik. Dies ist nicht hinnehmbar und unsere christliche Pflicht, im Geiste Dietrich Bonhoeffers gegen diesen Angriff auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung aufzubegehren. Zudem würde keiner der vorgetragenen Vorschläge an der Situation in der Flüchtlingshilfe etwas verbessern oder gar Gewalttaten vorbeugen! Bislang haben schärfere Grenzkontrollen vor allen Dingen dazu geführt, dass die betroffenen Personen riskantere Routen wählen. Besonders deutlich wurde dies schon in der Vergangenheit auf der lebensgefährlichen Alpenroute zwischen Italien und Frankreich, wo sich alljährlich mitten in Europa Menschen in Lebensgefahr begeben, um die Grenze zu überqueren. Derartige Szenen an Deutschen Grenzen kann niemand wollen. Wir als Gemeinde und viele unserer Mitglieder in der ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe spüren tagtäglich, woran es mangelt. Wenn Sie etwas Wirkungsvolles für die Integration in Deutschland tun wollen, dann bitten wir Sie um folgende zwei Dinge. Sorgen Sie dafür, dass die Asylverfahren entbürokratisiert und mit ausreichend Personal hinterlegt werden. Die Asylverfahren in Deutschland sind aufwendig, lang und bürokratisch. Egal welche Fluchtursache zu Grunde liegt: Die Menschen, die zu uns kommen, sind in einer belastenden und prekären Situation. Sie werden monatelang ohne klare Perspektive sich selbst überlassen. Bei vielen liegen traumatisierende Erlebnisse wie Todesangst und Gewalterfahrungen vor. Wenn nun soziologische Risikofaktoren (Alter und Geschlecht) auf Perspektivlosigkeit, Orientierungslosigkeit, Einsamkeit und daraus resultierend auf ein niedriges Selbstwertgefühl treffen, kann das ein willkommener Nährboden für psychische Erkrankungen sein, aus denen dann Gewalt erwachsen kann. Sorgen Sie dafür, dass die Verfahren beschleunigt, Verantwortlichkeiten gebündelt und Informationen zwischen staatlichen Stellen reibungslos ausgetauscht werden. Damit nach wenigen Wochen Klarheit herrscht: Umgehende Integration (und Zugang zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt) für alle Personen mit beliebigem Schutzstatus und Rückführung derer ohne Schutzstatus. Statten Sie die haupt- und ehrenamtliche Integrationsarbeit in Land und Kommune mit den not-wendigen Ressourcen aus. Wenn Integrationsarbeit gelingen soll, dann muss dies vor Ort geschehen. Sozialarbeitende und Integrationsbeauftragte in den Kommunen sowie das Ehrenamt – auch in den evangelischen Kirchengemeinden – sind nah an den Menschen, ansprechbar für ihre Nöte, aber auch kritisch und aufmerksam, wenn Probleme und Gewalt im Keim entstehen. Sie machen den Unterschied! Setzen Sie sich dafür ein, dass hierfür ausreichend personelle und finanzielle Ressourcen bereitgestellt werden. Damit diese Menschen ihre wichtige Aufgabe für unsere Gesellschaft vollumfänglich wahrnehmen und auch weiterhin neue Menschen in unsere Gemeinschaft aufnehmen und integrieren können. Integration kostet Geld, aber zahlt sich aus. Gelungene Integration ist die beste Gewaltprävention und ein Nutzen für die gesamte Gesellschaft. Geschlossene Grenzen kosten auch Geld, aber man bekommt nichts zurück. Wir adressieren diesen offenen Brief an Sie als direkt gewählten Bundestagsabgeordneten für den Kreis Viersen und Mitglied der CDU-Bundestagsfraktion. Zur Wahrung von Neutralität und Fairness geht ebenfalls ein Exemplar an die weiteren Direktkandidat:innen David Neil Nethen (Grüne) und Silke Depta (SPD). Außerdem werden wir die Rheinische Post, die Westdeutsche Zeitung und den Westdeutschen Rundfunk als öffentlich-rechtliche Medienanstalt in Kenntnis setzen und bekenntnisübergreifend für die Unterstützung unseres Anliegens werben. Ich möchte mit einem Zitat Dietrich Bonhoeffers schließen und verbleibe Pfarrer Mischa Czarnecki „Tatenloses Abwarten und stumpfes Zuschauen sind keine christlichen Haltungen.“ |